In den 1790er Jahren beschäftigte sich Schiller intensiv mit der Kantischen Ästhetik. Bis er wieder zur Literaturpraxis zurückkehrte, ließ er in dieser Zeit alle historischen und literarischen Projekte beiseite. Schiller nannte die Grundlage der ästhetischen Wirkung „poetische Wahrheit“. Anders als die „historische Wahrheit”, welche die Geschichtsschreibung anstrebt, scheint sich dieser Begriff auf die Vorstellung der Welt oder die Beschreibung eines Gegenstandes zu beziehen, die in einem Kunstwerk zum Ausdruck gebracht werden müssen. Aber welches Weltbild sollte im Kunstwerk nach Schillers Auffassung behandelt werden und wie sollte es im Kunstwerk repräsentiert werden? Es stellt sich also die Frage: Was ist der funktionale Unterschied zwischen Geschichte und Literatur in Bezug auf Schillers Bildungskonzept?
In der vorliegenden Arbeit wird versucht, anhand einer Interpretation des Wandels der historischen Figur Wallenstein in der Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs (1791–1793) zur poetischen Figur im Drama Wallenstein (1800) diese Fragen zu beantworten. Hatte Schiller in der Geschichtsschreibung Wallensteins Handeln als „Verrätherey“ beschrieben und damit seiner historischen Tat einen Sinn gegeben, so zeichnete er im Wallenstein-Drama ein passives Heldenbild. Dieses ist nicht selbstbestimmt, sondern eher anthropologisch von inneren und äußeren Faktoren bestimmt. Wallenstein wird in eine Situation versetzt, in der er so entscheiden und so handeln muss. Dieses Heldenbild zeigt uns nicht den Sinn seiner Taten, sondern vielmehr den Konflikt zwischen „Naturkräften“ und der „Freiheit des Menschen“. Diese Veränderung im Drama und deren Grund werden hier anhand der Kritik Schillers am modernen Subjekt interpretiert, die er in seinen ästhetischen Schriften der 1790er Jahre entwickelte. Schiller kritisiert das Verhältnis des modernen Menschen zur Welt und reflektiert gleichzeitig über das (Kantische) teleologische Urteil, das auch Schillers aufgeklärte Geschichtsphilosophie charakterisierte. Am Ende der vorliegenden Arbeit wird die Poetisierung Wallensteins als Schillers Versuch der Darstellung der „poetischen Wahrheit” erörtert, mit der Schiller Lesern und Zuschauern eine Erfahrung des Erhabenen zu bieten suchte und so einen Bildungsraum vorbereiten wollte, in dem sie ihre Seelenkräfte ausbilden können.

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