Ausschliesslich hat man die Geschichte der Farbenlehre unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung der immanenten Harmoniegesetze behandelt, aber wir mussen uns heutzutage eine Funktionseinbindung der Theorie vorstellen. Obwohl die Farbenlehre von Ostwald aus senen Ordnungs- und Harmonievorstellungen, vor allem aus den "grauen Harmonien", die semen neuen Standpunkt uber den Begriff Harmonie im Gegensatz zur neoimpressionistischen Auffassung eines ubergeordneten allgemeinen Gesetzes von Kontrast und Ausgleich des Farbenkreises kennzeichnen, gezogen ist, hat seine Lehre aber immer eine Neigung zur Ideologisierung: Wenn wir seine Briefe, die jetzt im Ostwald-Archiv in Berlin aufbewahrt werden, nachsehen, daraus resultiert, dass der Deutsche Werkbund anlassliche der Tagung zu Koln 1914 Ostwald beauftragte, eine neue Typisierung des Farbensystems zu erfinden. Die Reformbestrebungen des Werkbundes sind nicht von nationalistischen Zielsetzungen zu trennen. Als Ostwald einen Vortrag auf der Jahresversammlung des Werkbundes, dem ersten Deutschen Farbentag, in Stuttgart 1919 hielt, wurde seine Harmonielehre von den Malern und Wissenschaftlern, Adolf Holzel und Hans Hildbrandt, scharf kritisiert. Die Grunde dafur waren nicht die naturwissenschaftliche, anti-asthetische Gesetzmassigkeit seiner Theorie, sondern die kulturreformerischen Ideologien hinter seiner Lehre. Denn Ostwalds Harmonielehre als solche ist bald danach angenommen von den avangardistischen Kunstlern wie dem Maler Paul Klee und dem utopischen Architekt Hans Luckhardt. Ostwalds Farbenlehre zeigt sich als wichtige Problematik des Zusammenhangs zwischen Kunst und ausserkunstlerischen Institutionen.
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